Blick in die Zukunft? Ist der Klimawandel nicht eigentlich ein Klimanotfall?

Auswirkungen für den Rettungs- und Notarztdienst – Vortrag i.R. des ÖGERN Meetings 2024 in Wien

Autor: Dr. Thomas Quinton, FA f. Innere Medizin, Kardiologie, Notarzt, Umweltmedizin.

Seit ca 15 Jahren beschäftige ich mich mit den Veränderungen der Geosphäre durch die Nutzung von fossilen Brennstoffen. Seit ca. 10 Jahren wird für mich der Einfluss auch auf die Gesundheit zunehmend klarer.

Dazu ist es wichtig, sich mit den Quellen der wissenschaftlichen Evidenz auseinander zu setzen und mit der Art, wie diese publiziert und verbreitet werden. Ein weiterer Punkt ist die Art und Weise, wie die Institutionen, die Öffentlichkeit, die Medien und auch die Pfeiler unserer Demokratie – Gesetzgebung, Exekutive und Judikatur – damit umgehen.

Das derzeit wichtigste Gremium, in dem auf sehr breiter Ebene die wissenschaftlichen Informationen gesammelt und zusammen gefasst werden, ist das International Panel of Climate Change (IPPC). Gegründet wurde diese Institution 1982 von der UNO und der World meteorological Organisation (WMO) und umfasst insgesamt 195 Mitgliedsstaaten. Derzeit sammeln mehr als 700 WissenschafterInnen aus den entsprechenden Gebieten die Publikationen, die weltweit in den wichtigsten Fachjournalen erscheinen und fassen diese zusammen. Diese Zusammenfassung wird in einem 2 stufigen Review Prozess von mindestens weiteren 1600 WissenschafterInnen nochmals überprüft. Schließlich können die 195 Staaten vor der endgültigen Publikation Einwände und Änderungen geltend machen, sodass hier wirklich von einem sehr breiten Konsens zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgegangen werden kann1. Ähnlich verfährt der Lancet Countdown on Climate Change für die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimaänderungen. Hier besteht nur kein staatlicher Überbau2. Ergänzt werden diese Informationen durch aktuelle Bestandsaufnahmen die z.B. wie in einem aktuellen health check des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung die Überschreitung von 6 der derzeit 9 definierten planetaren Grenzen unserer Geosphere zeigen3. Darüber hinaus werden zahlreiche sogenannte Kippelemente, die eine unkontrollierte Beschleunigung der bereits laufenden Prozesse bewirken, benannt4. Dies bietet bei der Durchsicht der vorliegenden Befunde im übertragenen Sinn das Bild eines Multiorganversagens im Bereich unserer Lebenswelt (Biosphere).

Die Einflussnahme dieser Veränderungen auf die menschliche Gesundheit ist vielfältig5. Diese sind nicht nur theoretischer Natur, sondern sind auch bereits in zahlreichen Studien (umfangreiche Literatur beim Verfasser) nachgewiesen und in ihrem Auftreten massive steigend.

Es können jedenfalls 6 Kernaussagen zum Klimawandel getroffen werden6:

  1. Er ist real
  2. Er ist Menschen gemacht
  3. Die Experten sind sich einig
  4. Es ist schlecht (für uns)
  5. Lobbyisten leugnen
  6. Es gibt noch Hoffnung

Desinformation spielt in der Diskussion eine zunehmende Rolle. Ähnlich wie bei der Diskussion zur Gefährlichkeit des Rauchens und der Aufdeckung der Praktiken durch die Tabakindustrie werden hier die selben, teilweise sogar noch verfeinerten Techniken angewandt. Eine gute Übersicht dazu bieten die „PLURV“ Kriterien (Pseudoexperten, Logikfehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei, Verschwörungsmythen), die zuerst von einem australischen Forscher zusammengetragen wurden7. Dazu kommen Eigenschaften der menschlichen Psyche, die gewisse Informationen bevorzugt, auch wenn diese nicht logisch und nicht wissenschaftlich fundiert sind8.

Bei der Bewältigung dieser Krise lassen sich zwei Haupthandlungsfelder definieren – Mitigation und Resilienz (oder auch Anpassungsfähigkeit). Unter Mitigation versteht man in diesem Zusammenhang, dass die Auswirkungen der Klimakrise entschärft werden müssen, indem ein Wirtschaftssystem, das auf Verbrauch und Verbrennung ausgelegt ist, transformiert wird zu einem, das mehrdimensional und in Kreisläufen arbeitet. Resilienz bedeutet Anpassungsfähigkeit. Diese ist nur gemeinsam mit einer Veränderung unseres Handelns wirksam, da unsere Anpassungsfähigkeit physikalischen und biologischen Grenzen unterliegt, wir uns mit anderen Worten nicht unbegrenzt anpassen können9.

Dabei ist der Gesundheitssektor „Täter“, „Opfer“ und auch „Akteur“. Der Sektor ist für fast 7% (weltweit ca. 5%) der nationalen Treibhausgasemissionen (Fußabdruck) verantwortlich, trägt also eine Mitverantwortung10. Andererseits sind Gesundheitsberufe aber auch jene, die eine sehr gute Reputation in der Bevölkerung haben und daher besonders geeignet sind, einen guten Handabdruck11 zu erzeugen, z.B. durch die Förderung von second und triple Benefit Maßnahmen wie aktiver Mobilität oder Umstellung in Richtung eines deutlich höheren Pflanzenanteils in der Ernährung. Hier kann jede:r Einzelne einen Beitrag leisten – nicht nur zum Wohle der Patienten, sondern auch der Umwelt. Dazu benötigen wir allerdings auch eine Implementierung von „Klimawissen“12 in unsere Aus- und Weiterbildung, die Menschen in Gesundheitsberufen als informed Decisionmaker (in Analogie zum informed consent) erst ermächtigen, aus dem Wissen der Zusammenhänge zu agieren.

Als Resilienz verbessernde Maßnahmen im Gesundheitssystem kommen vor allem Verbesserungen im Katastrophenschutz, spezifische Informationssysteme (Notfallpläne z.b. für Hitze und Dashboards für Extremwetterereignisse), Schulungen für „neue“ Krankheitsbilder und auch Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Frage.

Laut WHO ist die Klimakrise gleichbedeutend mit einer Gesundheitskrise und die größte Bedrohung der Menschheit13.

Wir haben die Wahl, ob wir die anstehenden Veränderungen aktiv mitgestalten wollen oder nicht – denn die Transformation kommt gewiss – entweder per Design oder per Desaster .

1 https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_SPM.pdf

2 https://klimagesund.de/wp-content/uploads/2024/10/LCD-Bericht-Zusammenfassung.pdf

3 https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/erster-planetarer-gesundheitscheck-erde-ueberschreitet-sichere-grenzen

4 https://www.science.org/doi/full/10.1126/science.1259855

5 https://healthforfuture.de/wp-content/uploads/2023/12/H4F-Folgen-fuer-Gesundheit-A1-1536×1086.png

6 https://www.pik-potsdam.de/~stefan/6facts/

7 https://www.klimafakten.de/kommunikation/p-l-u-r-v-dies-sind-die-haeufigsten-desinformations-tricks-von-wissenschafts-leugnern

8 https://www.oekom.de/buch/die-kunst-der-ausrede-9783962383893

9 https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/downloads/outreach/IPCC_AR6_WGII_FactSheet_Health.pdf

10 https://jasmin.goeg.at/id/eprint/2825/1/Treibhausgasemissionen%20des%20%C3%B6sterreichischen%20Gesundheitswesens_bf.pdf

11 https://www.umweltberatung.at/oekologischer-handabdruck

12 https://climatefresk.org/world/

13 https://www.who.int/about/accountability/results/who-results-report-2022-mtr/who-at-75-years-combatting-21st-century-health-challenges